Dienstag, 3. November 2009

Der Schall

I
Ich werde früher müde, jeden Tag. Vor einer Woche bin ich noch bis um drei Uhr wach geblieben, war so aufgeregt, so durchdrungen vom Jetzt, dass ich alles auf einmal, alles gleichzeitig wollte. Erleben von allem, was gefehlt hat. Aber was man gewonnen hat, das ließ anderes zerinnen. Zwischen den Fingern, und nur der Schall deiner Worte bleibt. Sie wecken mich morgens, sie wecken mich nachts. Sie wecken mich mittags und sie wecken mich abends. Sie wecken und wecken, bis kein Schlaf mehr bleibt.
Und doch werde ich jeden Tag früher müde. Gestern war ich neun Stunden wach, da packte mich der Schlaf, nachdem ich diese Zeilen gelesen hatte:

I don't know why solitude would be a balm for loneliness, but that is how it always was for me in those days and people respected me for all those hours I was up here working away in the study and for the books that used to come in the mail for me - not so many really, but more than I could afford. *

Es ist eine Wahrheit in Büchern, die überirdisch ist, an die alles Gesagte, alles Geschriene und alles Geflüsterte, niemals heranreichen wird. Erst geschrieben und wieder ausgesprochen, macht es unumgänglich, das Wahre.
Und es macht mich müde, als könnte ich die Wahrheit begraben mit Sand und Schlaf. Ich kann nicht mehr verdrängen, da ist ein Raum in mir, der voll ist, der nichts mehr fasst. Alles hat sich vermischt und die Lücke deiner Abwesenheit, der Tür zu diesem Raum, lässt alles herausrinnen. Sandkorn für Sandkorn, erlebte Sekunde für erlebte Sekunde.
Ich sehe den Schall deiner Worte wo immer ich bin und höre, was du gesagt hättest, an jedem Ort, so laut er auch sein mag. Es ist kein Raum mehr in mir, ich hab alle Fenster geöffnet und lasse den Winter herein, der sich in goldroten Ahornblättern ankündigt, die mir auf den Balkon und ins Zimmer regnen und die dein Flüstern hereintragen. Einen Strauss hab ich gesteckt und er steht auf meinem Schreibtisch. Die wahre Freude, ist die Vorfreude auf den Schnee, denn er wird bedecken, was ich nicht mehr vergraben kann, was obenauf liegt, für alle sichtbar.

II
Manchmal wünsche ich, wir wären tausend Jahre später geboren, dann könnte ich die Hände durch den Bildschirm strecken und deine kalten Hände wärmen, denn ich weiß nicht warum, aber meine sind nie kalt. Das hat mir der gegeben, dessen Schall alles Laute durchdringt. Ein winziger Trost, ein Wall der Kälte entgegen.
Obwohl ich es nicht will, obwohl ich mit allem Wunsch, den untätigen Wünschen, dagegen bin, wird der elfte Stock zur Sturmhöhe werden, ich sehe es an den Blättern, die hereinwirbeln, obwohl kein Wind weht.

For me writing was always like praying, even when I wasn't writing prayers, as I was often enough. You feel that you are with someone. I feel I am with you now, whatever that can mean…*

*aus Gilead, Marilynne Robinson

Donnerstag, 22. Oktober 2009

Bodensatz.

Ich sitze auf dem Boden und beobachte Literaturstudentenfüßchen. Gekleidet in hübsche Lederstiefel oder etwas modernes, vielleicht mit sich überkreuzenden Streifen. Es ist ein wildes Auftreten im Saal, ein ungestümes Trappeln, ein nervöses Tippen, ein Auf- und Niederstampfen. Hacke, Spitze, Hoch das Bein! Ein bunter Schal hängt hinunter, gibt sich schmutzig farblos vom vielen Schleifen und seine Fransen schmiegen sich verhärmt an den grauen Stein.
Im Stimmengemurmel treten sich Wörter auch auf die Füße, Sprachkurs und Prüfungsanmeldung und Passwortsammlungen und man versucht im ersten Konsens gleich mit Blicken Freundschaften zu schließen und einen, irgendeinen an sich zu binden. Damit man nicht bloßsteht und nacktalleint.
Schon regen sich die ersten über die Organisation auf, immer die böse, die an dem Lehrinstitut des Zuhörers Wahl immer die schlimmste ist, weil auch fünf Minuten nach Verstreichen des ersten akademischen Viertels dieses Jahres noch keiner die Tür aufgeschlossen hat. Man nickt in der Runde und ist froh über das gemeinsame Thema, denn in der Beschwerde kennen sich die meisten aus, da weiß man am ehesten etwas zu sagen. Aber nicht zu viel, nicht zu sehr herausstechen aus der Aufregermasse, man will ja nicht als forsch oder gar Nörgelnder gelten, noch bevor man herausgefunden hat, was erwünscht ist und geduldet wird.
Wenn man überhaupt so in die Runde schaut, traut man sich durchaus zu, bereits an dem Ausdruck in den feisten Kindergesichtern abzumachen ob man sich zu dem oder dem eventuell hingezogen fühlte, wenn man dann baldmöglichst das erste Wort miteinander gesprochen haben wird. Und so steht man musternd und um sich blickend da und zieht wie an der Supermarktkasse die Anlitze und modischen Bewusst- und Unterbewusstheiten über den unfehlbaren Kassenlaserscanner und sortiert noch die Ausschussware in den großen Wühlkorb der unbekannten Hörsaalsitzer, bevor man selbst einen famos angetanen Fuß dorthinein gesteckt hätte.
Als dann endlich der schnelle, energische Professorenschrittklang den Wartesaal durchtönt, ist man ganz mucksmäuschenstill und betrachtet mit großen Augen den Lehrmeister und zukünftigen Peiniger, der, und das entschuldigt man ihm sofort und ohne Hinterfragen, nicht einmal die vertanen zwanzig Minuten erklärt. Man rückt ein in den Saal und sich gegenseitig dicht auf die Pelle und hofft darauf in Zukunft ernst genommen zu werden von der hehren Erwachsenenwelt, hofft darauf auf der Coolness-, später Karriereleiter ein Stück nach oben zu rutschen und das alles ohne möglichst viel Aufwand, immer die Kosten-Nutzen-Rechnung im Auge behaltend, natürlich partyplanerisch vorwandangebend Zeit einfordernd. Und dann lauscht man ein viel zu langes Stündchen, stellt zehnmal dieselbe Frage, versteht auch ein elftes Mal die gegeben Antwort nicht und geht hinterher schnellstmöglich noch vor dem letzten Wort des schon verärgerten, aber resignierten Herrn Professors hinaus, laut, stühlerückend und schwatzend. Um dann vor dem Gebäude in aller Ruhe fortzufahren mit dem Beschwerdechorus der Nullbockgeneration, von der ich immer behaupte, es sei eine Beleidigung und entspräche nicht der Realität. Nur dass man sich diesesmal ein anderes Thema aussuchen muss, als die nach hinten verschobene, sehnlichst herbeigewünschte Lehrveranstaltung.

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